Unter dem Begriff
Non-finito, der aus dem italienischen übersetzt unvollendet bedeutet,
versteht man in der Welt der Bildhauerei nicht
fertiggestellte Skulpturen bzw. Plastiken.
Gerade Michelangelo,
der Zeit seines Lebens von Ideen strotzte, konnte nur wenige seiner
Werke wie geplant ausführen und vollenden. Viele Projekte blieben
bereits in der Planungsphase stecken, andere wurden, ob nun
aus
Interessenverlust, Zeitmangel oder sonstigen Problematiken, nicht oder
nur in veränderter Form fertiggestellt.
Ein
schillerndes Beispiel des "Non-finito" liefert das Juliusgrabmal für
den gleichnamigen Papst. Es wurde noch zu den Lebzeiten des Papst
Julius II. begonnen und beschäftige Michelangelo, mit vielen
Unterbrechungen, über 40 Jahre lang. Dabei blieb von den
ursprünglich großangelegten Plänen eines freistehenden Mausoleums
mit mehr als 40 Figuren kaum noch etwas übrig. Das schließlich
fertiggestellte und nicht mehr freistehende Grabmal enthält lediglich
drei von Michelangelo selbst ausgeführten Figuren und ist deutlich
kleiner als anfangs vorgesehen. Weitere Figuren, wie der links zu
sehende
Atlas-Sklave, fanden keine Verwendung und blieben unvollendet.
Michelangelo selbst bezeichnete das Grabmal des Julius als seine
persönliche Tragödie.
Ein
anderes Beispiel liefert die Marmorstatue Pietà Rondanini, an der
Michelangelo von 1552 bis zu seinem Tod im Jahre 1564 arbeitete. Sie
zeigt Maria mit dem vom Kreuz genommenen Jesus und war ursprünglich
wohl für sein eigenes Grabmal gedacht. Michelangelo nahm noch während
der Arbeiten eine völlige Umgestaltung vor und zerstörte sogar Teile
der Plastik, ehe er sporadisch an ihr weiterarbeitete. Durch
Briefwechsel mit Daniele da Volterras lässt sich annehmen, dass
Michelangelo sogar noch kurz vor seinem Tod an dem Werk arbeitete. Die
heute in Mailand untergebrachte Figur enthält noch deutlich sichtbare
Meißelspuren, eine ungeglättete Oberfläche und Teile der aufgegebenen
Konzeption (ein großer rechter Arm). Der Kunsthistoriker Jacob
Burckhardt (1818 - 1897) sah das Werk als Misslungen an und riet von
einer Besichtigung ab. Andere Fachleute sehen die Pietà weniger
negativ, so spricht Wilhelm Lübke (1826 - 1893) von "genialer Willkür
und ungezügeltem Subjektivismus".
Während
einige spätere
Künstler wie Auguste Rodin das Non-finito als Stilmittel verwendeten,
wird bei Michelangelo angenommen, dass dies kein vorher feststehendes
Prinzip war. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass er während der
Arbeiten an einigen Figuren die ästhetische Entscheidung traff, diese
nicht zu vollenden. Manche Fachleute sind auch der Meinung, dass es
der Perfektionismus des Meisters war der ihn oftmals von der
Weiterarbeit abhielt - gemäß dem Motto: "Ganz perfekt geht es nicht,
also ist die Weiterführung sinnlos". Letztlich sind es jedoch nur
Mutmaßungen, ob und an welchen Werken Michelangelo eine solche
Entscheidung traf.
Anzeige
|
N
O
N
-
F
I
N
I
T
O |
|